Sonntag, 22. Januar 2006

Du und ich und Depeche Mode

Du und ich und Depeche Mode in Düsseldorf unterm Dach. Unter diesem Motto mache ich mich mit der kleinen Frau Lässig auf den Weg in die LTU Arena. Schlimm, die Arenen-Pest heutzutage. Nicht nur als Fußballfan hat man unter diesen sterilen Mistdingern zu leiden, die jeden potentiell begeisterungsfähigen Fan in einen unmündig am Sitz klebenden Kino-Touristen verwandeln. Dieser äußert bei Spielen zwar keine Emotionen - allenfalls Unmut, wenn ihm etwas nicht passt - dafür konsumiert er in der Pause viel mit der Arena-eigenen Unbar-Karte am Catering-Stand – wahlweise ServicePoint blalba. In der LTU-Arena, die von außen wie ein Einkaufszentrum aussieht und innen gnadenlos hässlich ist, sollte eigentlich Fortuna Düsseldorf alle 14 Tage viele Konsumenten zu den ServicePoints (blabla) locken, doch unglücklicherweise spielt der Verein gerade mal in der dritten Liga (und daher auf irgendeinem Sportplatz), so daß man froh ist, in der Multifunktions-(blabla)-Arena auch mal Konzerte veranstalten zu können.

Frau Lässig ist schon ganz aufgeregt, obwohl sie gestern bereits beim ersten Düsseldorfer Konzert war, und ihre Aufregung steigert sich im Tagesverlauf linear, je näher der Konzertbeginn rückt. Die Extrabahn fährt zeitig ein und der Lautsprecher wünscht den Fans sogar viel Spaß beim Konzert. Es ist etwa 19.15 – eigentlich schon etwas spät, aber wir sind ja in der LTU-blabla-Arena mit nummerierten Plätzen, so daß man sich nicht beeilen muß. Eine Station später ist es mit unserer Reise jedoch erstmal vorbei. Oberleitungsschaden. Gerade jetzt. Die Lässigkeit von Frau Lässig verwandelt sich in kaum gezügelte Panik. Erstmal Ordner befragen und nach Bus-Verbindungen Ausschau halten. Da kommen Rebecca und Kalle auf uns zu. Daß sie so heißen, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, denn wir kennen sie gar nicht. Daß sie so heißen, wissen sie selbst auch nicht, denn wir erfahren im weiteren Verlauf ihre Namen nicht und ich gebe sie ihnen kurzerhand am nächsten Tag, da jeder Mensch mit Namen viel greifbarer wird. „Ihr seht so aus als wolltet ihr zum Depeche-Mode-Konzert. Wollen wir uns ein Taxi teilen?“, fragt Rebecca mit leichtem Lispelton. Wollen wir, denn es gibt keine vernünftige Verbindung zum Gelände. Draußen heißt es, sich im Kampf um ein freies Taxi bewähren, denn natürlich stehen hunderte andere Besucher genauso ratlos da.

Wir erwischen einen guten Fahrer mit Humor, Musikgeschmack und dem Wissen um einen Schleichweg. „Wie kommt ihr eigentlich zu Depeche Mode?“, fragt er, „Das ich doch mehr was für mein Alter. Die habe ich 1982 in der Philipshalle gesehen“. Ich bin eigentlich der Ansicht, daß Depeche Mode genau das Thema für meine Altersgruppe um die 30 ist, aber gegen Altersweisheit läßt sich bekanntlich kaum argumentieren. Die Taxibesatzung gibt also einer nach dem anderen Konzertanekdoten zum Besten. Im weiteren Verlauf verwende ich, wie mehrfach am Tag, die Wendung „hier in Köln“, wofür ich vom Taxifahrer freundlich aber bestimmt zurechtgewiesen werde. Entschuldigung, ich war eben am Tag zuvor noch in Köln. Natürlich ist mir bekannt, daß Düsseldorfer und Kölner sich nicht grün sind. Für mich als Außenstehenden gehören die Städte aber irgendwie zusammen. Vermutlich würde der einen ohne die andere auch zumindest ein griffiges Feindbild fehlen. Erstmal auch egal. Wir erreichen die Arena jedenfalls rechtzeitig und verabschieden Kalle und Rebecca.

Drinnen erfordert natürlich der Fanartikel-Stand die erste Aufmerksamkeit. Die Shirts sind mit „schlicht“ schon blumig beschrieben und bei 30 Euro für das günstigste Exemplar mit „Wucher“ noch nicht annähernd würdig beschimpft. Also keine weiteren Ausgaben an dieser Stelle.

Als nächstes fällt uns das Publikum auf. Anders als sonst drücken wir den Altersschnitt, der sich tatsächlich mehr in den Regionen unseres netten Taxifahrers von vorhin bewegt. Die extrem junge Zielgruppe von früher ist entweder verschwunden – oder derart gealtert, daß sie nun zehn Jahre älter als wir aussieht. Positiv vermerke ich, daß kaum peinliche Lack-Gruftis anwesend sind, was meine Laune heben würde, falls es nötig wäre. Dies ist natürlich nicht der Fall, denn ich bin dem Anlaß entsprechend hervorragend aufgelegt.

Wir kommen gerade rechtzeitig zu unseren Plätzen, um die letzten drei Stücke der nichtssagenden Vorband zu ignorieren, deren Name uns nicht einfallen will. Ich denke dafür kurz an Portion Control , Front 242 oder Nitzer Ebb zurück. Ein Blick ins weite Rund lässt mich schaudern. Konzerte gehören einfach nicht in Fußballstadien – Arena hin oder her.
Dann geht endlich das Licht aus, die Musik setzt ein. Ein etwa vier Zentimeter großer Dave Gahan betritt die Bühne. Nein, nein. Der Mann dürfte wohl immer noch einen Meter achtzig und irgendwas haben. Das Problem liegt bei uns – denn wir sitzen 150 oder 200 Meter von der Bühne entfernt. Hierfür 65 Euro Eintritt zu verlangen, ist schlicht eine Unverschämtheit. Wieder egal, denn es geht los als auch 3 Zentimeter Martin Gore auf der Bühne stehen. Ist er das wirklich?! Könnte auch ein Scherzartikel sein. Naja, die Videowände behaupten es jedenfalls. Martin trägt einen Eierwärmer auf dem Kopf, den er einem Kasachischen Schafhirten abgeknöpft haben muß. Sieht jedenfalls unglaublich beknackt aus und soll wohl an das Federmännchen vom Albumcover erinnern.

Frau Lässig ist das ganz egal. Sie und ich sind bei den ersten Anzeichen des Konzertbeginns schwungvoll aus den Sitzen gefedert. Um uns herum...geschieht nichts. Der gesamte Block sitzt. Bleibt auch sitzen. Ganz vorne stehen noch zwei Einsame. In den Blöcken links und rechts neben uns dasselbe Bild. Ich will schon „warum seid Ihr so leise“ brüllen, doch mir fällt ein, daß die meisten wahrscheinlich Marc Spoon überhaupt nicht gekannt haben. Tausend mal egal – dies ist ein Depeche Mode-Konzert. Das macht Frau Lässig auch der Nörglerin hinter ihr klar, die sich darüber beschwert, daß sie nun nichts mehr sehen kann, wenn wir stehen.

Beim dritten Stück, A question of time, traut sich noch eine halbe Reihe Mädels vor uns, den Sitzplatz gegen Hüftschwingen einzutauschen. Aber das lahme Publikum und die Tatsache, daß wir die Band vor allem über die Videowände wahrnehmen müssen, können uns nicht anfechten. Vor allem Frau Lässig nicht, deren Arme in die Höhe geschnellt sind und in den nächsten zwei Stunden nur selten wieder nach unten sinken. Einmal ist es der Fall, als ich anmerke, daß Dave Gahan mit längeren Haaren inzwischen ein wenig wie Alice Cooper aussehen könnte. Aber auch dieses Sakrileg wird mir nachgesehen. Unsere Stimmung ist groß und als Martin „Damaged people“ zum besten gibt, kommen echte Glücksgefühle in mir auf. „Behind the wheel“ ist dann dazu angetan, weitere Leute aus den Sitzen zu heben. Herr Gahan ist stimmlich in hervorragender Verfassung. Eigentlich ist dies zum ersten Mal in meiner Konzertkarriere der Fall. Ich fragte mich schon oftmals, was wohl im Studio nötig ist, um die Diskrepanz zu überbrücken.

Vier Zentimeter David Gahan reißen sich bei „I feel you“ das Hemd herunter und die Menge schreit auf. Allerdings könnte es auch daran liegen, daß ein eingespieltes Model auf der Videowand dasselbe getan hat. Diese Frage bleibt bis auf weiteres ungeklärt. Anzumerken ist an dieser Stelle, daß Licht und Bühnenbild sehr zu gefallen wissen. Übrigens ist Andrew Fletcher auch da, behaupten die Videowände. Dies sei der Vollständigkeit halber vermerkt.

Trotzdem kehren meine Gedanken irgendwann zum Eintrittspreis zurück. Bei „Home“ singe ich deswegen Frau Lässig „I thank you for bringing me here“ ins Ohr, denn Frau Lässig hat mir die Karte für den Abend geschenkt. Eine weitere Person darf an dem Ereignis teilhaben. Bei „Just can’t get enough“ ruft Frau Lässig ihre Schwester an und lässt so viel Musik wie möglich auf dem Anrufbeantworter zurück, wofür sie später am Abend eine überschwängliche Dankesnachricht empfangen wird.

Leider verwehrt mir die Band „Nothing’s impossible“ und spielt dafür die beiden Album-Stücke, die ich am wenigsten mag: „I want it all“ und „The sinner in me“. Auch noch hintereinander – was dramaturgisch gesehen der Arena-Stimmung nicht besonders zuträglich ist. Allerdings gibt es Gelegenheit, einen Grund zu würdigen, warum mir die Band so viel bedeutet. Jeder einzelne Text aus der Feder des drei Zentimetermannes Gore hat mir für mein Leben etwas zu sagen. Daß Frau Lässig aber meint, gerade die beiden Stücke, die ich nicht so sehr mag, seien wie für mich geschrieben, gibt mir noch Stoff zum Nachdenken für die nächsten Tage. Nicht egal.

Inzwischen langt die Band bei ihrem wohl bekanntesten Stück an - „Enjoy the silence“. Wie von Dr. Fankenstein mit einem Blitz zum Leben erweckt, springt der phlegmatische Mensch neben mir auf, der zuvor 90 Minuten versteinert an seinen Sitz getackert war, rudert wie irre mit den Armen, gibt den Partybären und singt mir meisterhaft falsch ins Ohr. Ich beschließe nach kurzer Überlegung, doch keine Prügelei anzufangen, denn das Lied ist auch für mich etwas besonderes und ich genieße es als einziges Stück des Abends mehr oder weniger still stehend, respektive gerührt. Der phlegmatische Partylöwe hat damit auch noch vor den Zugaben sein Pulver verschossen und nimmt einfach weiterhin schweigend Platz weg. Dies gilt auch für den Rest der Halle, der jetzt doch noch aufgestanden ist. Allerdings ist es wohl der erste Abend, bei dem nicht auch der letzte Mensch zu „Never let me down again“ mit den Armen gerudert hat. Eigentlich hat das fast keiner getan. Entweder haben sich die meisten einem durchaus fragwürdigen Gruppenzwang entzogen – oder es war einfach wirklich ein stimmungsschwaches Publikum.

Schließlich endet das Konzert vergleichsweise ungewöhnlich mit „Goodnight lovers“ und den beiden Zentimetergöttern Gore und Gahan Arm in Arm. Sie haben sich also doch noch lieb, zumindest seit Dave auch einige Stücke komponieren darf.

Ich habe hinterher trotz Hitze eigentlich keinen Durst, aber als Souvenir muß wenigstens ein Trinkbecher mit Bandaufdruck herhalten, der natürlich rein zufällig gleich 2 Euro Pfand kostet.

Ein schöner Abend. „Du und ich und Depeche Mode“ würde übrigens auf T-Shirts viel besser aussehen und wäre gegenüber „Touring the angel“ eine echte Alternative. Finde ich. Findet Frau Lässig auch und wir entschwinden in die Nacht.
Andy Froese - 22. Jan, 22:54

Am Freitag wars genauso - zu groß, zuviele Touris. Aber am Do ist ja Frankfurt...

Andy Froese - 27. Jan, 13:08

DM in Frankfurt

Wahnsinn was in der Frankfurter Festhalle abging. Nach dem doch etwas enttäuschenden "Düsseldorf" Erlebnis wurde man gestern Abend mehr als entschädigt. Dazu gab's zum allerersten Mal auf dieser Tour als Überraschung "Shake The Disease". Den Konzertberichten nach war es das bisher beste Konzert bei dieser Tour. Frankfurt ist mehr als ein Geheimtipp.

Sorry Niels, wollte den Finger nicht in die Wunde legen ;-)

Niels 23 (Gast) - 27. Jan, 14:28

Schweinebacke. Hab schon gehört, daß Shake the disease gespielt wurde. Grummel.

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