Mittwoch, 8. August 2007

The Horrorist: Die dunkle Seite der Macht

horrorist The Horrorist dürften viele schon mal gesehen haben, ohne es zu ahnen. Schaut man den legendären Konzertfilm "101" an, in dem Depeche-Mode-Fans anstelle der Band im Mittelpunkt stehen, entdeckt man unter ihnen den 17jährigen Oliver Chesler, aus dem einige Jahre später der Techno-Paradiesvogel Horrorist wurde. Heute, mit 37 Jahren, enthält Cheslers Diskographie einige Dutzend Einträge und Kollaborationen mit den Großen der Techno-Szene von Chris Liebing bis The Hacker. Dazu betreibt er das Label Things To Come Records, auf dem unter anderem Adam X veröffentlicht. Eine große Fanbasis erspielte er sich zunächst in der Gabber-Szene der frühen 90er – wem "Thunderdome" ein Begriff ist, der dürfte auch auf The Horrorist oder sein Alter Ego ‚DJ Skinhead’ gestoßen sein. Der Durchbruch gelang The Horrorist jedoch 2001 mit seiner Elektro-orientierten Single "One Night In New York City", die ihn ins Rampenlicht einer größeren Öffentlichkeit rückte.

Depeche Mode zählt Chesler immer noch zu seinen Haupteinflüssen, ebenso wie belgische EBM. So verwundert es nicht, dass er eine Interpretation des Allzeit-Klassikers "Body To Body" von Front 242 eingespielt hat, die neben The Klinik und Nitzer Ebb zu seinen Favoriten zählen. Die analogen Klänge der 80er üben auch heute noch große Anziehungskraft aus. Und so setzt er neben einem Macintosh und Ableton Live auch immer wieder gerne alte Maschinen ein. Besonders stolz ist er auf einen Electrocomp-101, von dem in den 70er Jahren lediglich 2000 Stück für Hochschulen gefertigt worden sind. Nicht ganz perfekt zu sein, hat in einer zunehmend digitalisierten Welt seine Vorzüge: "Das Gerät hat vier Oszillatoren und einen Mikrophon-Vorverstärker. Das Ding ist total instabil. Bei jedem Einschalten erzeugt er andere Klänge. Ich setze ihn auf fast allen Stücken ein."

Auch wenn die Hochgeschwindigkeits-Gewitter seiner Hardcore-Zeit größtenteils abgeklungen sind, mutet die Atmosphäre im Horrorist-Universum auch aktuell eher derb als filigran an. Das neue Album "Attack Decay" operiert zwischen den wuchtigen Bass-Wänden der Neo-EBM Marke Terence Fixmer und der clashigen Kühle eines Michel Amato, die Stücken wie "Sex Machine" und "Pain And Pleasure" eine gewisse Leichtigkeit verleiht. Verbunden mit dem knarzigen Wahnsinn von T.Raumschmiere steuert Chesler einen überraschend wendigen und bunt angesprühten Panzerkampfwagen mitten auf die Tanzflächen.

Vor drei Jahren hat Oliver Chesler die Nächte in New York City gegen einen Daueraufenthalt in der deutschen Hauptstadt eingetauscht. Die Entscheidung für Berlin fiel ihm nicht allzu schwer. "Ich kam sowieso mehrmals im Monat nach Europa und kann diese langen Atlantik-Flüge nicht ausstehen. In New York hatte ich eine Art Wohnklo mit einem Fenster für 2500 Dollar Miete im Monat, dazu mußte ich 1200 Dollar für mein Studio in Brooklyn aufbringen. Hier in Berlin habe ich 110 Quadratmeter mit 18 Fenstern und dazu Studio-Extraräume für weniger als die Hälfte des Geldes. Da musste ich nicht lange überlegen."

Von der Strahlkraft der Techno-Metropole abgesehen, die schon Plastikman Richie Hawtin oder Gerald Simpson (A Guy Called Gerald) anlockte, sprechen also auch ganz praktische Gründe für Deutschland. Oliver fühlt sich offensichtlich pudelwohl: "Die Leute in Amerika sind satt und faul. Sie wissen mit sich nichts anzufangen. Im Leben zählen nur Fernsehen, Essen und dicke Autos – und zur Regierung muss ich ja nichts sagen, die ist einfach nur wahnsinnig. Obwohl ich das Land liebe, finde ich es auch ziemlich lächerlich. In Deutschland funktioniert alles perfekt. Ich kann mich noch gut erinnern – als einmal in meiner Straße ein Mülleimer kaputt ging, kam sofort jemand von der Stadtreinigung, der ihn ausgetauscht hat. Aber die Deutschen sind davon besessen, alles richtig machen zu wollen. Deswegen sind sie manchmal zu zögerlich, weil sie niemandem zu nahe treten wollen. Ich bin noch nicht lange genug hier, um alles wirklich beurteilen zu können, aber bisher genieße ich das Leben in Berlin sehr."

Der neue Wohnort schlägt sich auch in seiner Musik nieder, so versucht sich The Horrorist mittlerweile auch an deutschen Titeln ("Es ist alles aus", "Ich habe die Macht"). Bekanntlich hält Oliver Chesler beim Texten nicht hinter dem Berg, wofür nicht zuletzt sein Abschluß in Politik-Wissenschaften verantwortlich sein dürfte. Der Einsatz von Vocals ist für ihn dabei das musikalische Salz in der Suppe: "Ohne Stimme würde ich mich nicht wesentlich von anderen Produktionen unterscheiden. In der Techno-Szene habe ich stets den New Wave/EBM-Sound der 80er vermisst. Als Cubase herauskam, hatte ich endlich die Möglichkeit, Gesang am Rechner aufzunehmen und sinnvoll einzubinden. Zu der Zeit startete ich auch mein Label Things To Come. Ich mag echte Songs, deswegen spielt die Komposition für mich auch eine große Rolle. In meinem Kopf sind Dinge, die raus wollen."

Zurückhaltung gibt es also nicht, wenn der Horrorist auf die Bühne tritt, einen Baustrahler auf sich richtet und ins Mikro schreiend von 13 Dobermännern berichtet, die Weltherrschaft an sich reißt oder sich als Zerstörer der Wirklichkeit inszeniert. Trotz düsterer Allmachtsphantasien, urbanem Wahnsinn und apokalyptischen Szenarien sind es jedoch sehr reale Probleme, die ihn beschäftigen. So wäre seine erste Amtshandlung als Inhaber der ‚Macht’: "Die Art ändern, wie Menschen mit Tieren umgehen." Ein Indiz dafür, dass Oliver Chesler trotz seines Images als durchgezischter Techno-Maniac eine durchaus bescheidene Person und mit beiden Füßen auf dem Teppich geblieben ist. Zum Schluss verrät er daher auch noch ein Lieblingsstück, das er sehr mag, aber das er irgendwie ein bisschen peinlich findet: "Up Where We Belong" von Joe Cocker.

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