Donnerstag, 21. September 2006

T.Raumschmiere: Manche mögen's laut

haas Über Musik zu schreiben ist, wie zu Architektur zu tanzen. Dieser Aphorismus entstammt der Feder des amerikanischen Autors William S. Burroughs ("Naked Lunch"). Burroughs gilt als Protagonist der 'Cut-up'-Methode, die das Remixen von Texten bezeichnet und schrieb auch die Geschichte "Die Traumschmiere", die einem gewissen Marco Haas zur Inspiration für sein musikalisches Projekt wurde. Um die Lücke zwischen Klang und Wort zu überbrücken, legt der Mensch sich Etiketten zurecht, wobei der Klangkörper von T.Raumschmiere gerne mit "Elektroclash" oder "Shuffle-Techno" beklebt wird. Doch das ist nichts, womit sich Marco Haas gerne befasst. Schlicht und einfach "Musick" soll es sein. Eine Fusion aus knarzigem Techno und Punk-Attitüde. Rockig, laut und – bitteschön – anti. Schon bald nach Abitur und Zivildienst hatte es den gebürtigen Heidelberger nach Berlin getrieben. Bloß weg. Fernab von provinzieller Idylle und Verpflichtungen schloss er sich alleine in der Millionenstadt erst mal in sein Studio ein, um sodann sein Shitkatapult auf die Musikwelt zu richten und diese mit gezielten Schüssen unterhalb der Gürtellinie und jenseits der Hörgewohnheiten zu befeuern. Mit Erfolg: Kurz vor seinem 30. Geburtstag erscheint nun das neue Album "Blitzkrieg Pop" über das Kultlabel novamute. Bereits der Vorgänger "Radio Blackout" beförderte Haas mit Stücken wie "Monstertruck Driver" nicht nur zum Liebling der Clubs, auch die Feuilletons der Tageszeitungen hatten den Nonkonformisten für sich entdeckt und hoben ihn aufs Vorzeigeschild. Daraus erwächst für Berufsrebellen natürlich auch eine gewisse Bürde: Wie bleibt man "anti", wenn einen doch bereits jeder mag und sogar das Goethe-Institut T.Raumschmiere um die Welt schickt, um Deutschland zu repräsentieren?! Marco Haas hat die Lösung für sich gefunden, nach der er gar nicht erst suchen musste. Das Unerwartete zu tun liegt ihm im Blut - da wird nicht gekünstelt, sondern einfach gemacht. An der Musi(c)k jedoch hat er getüftelt, denn darum geht es schließlich. "Blitzkrieg Pop" wirkt homogener und tiefer als "Radio Blackout". Die Sounds gewinnen an Atmosphäre, entfernen sich von der Zweidimensionalität. Die Klänge verteilen sich in alle Richtungen und platzieren die Stücke intensiver im Raum. Und dann ist da noch der Pop-Aspekt: Mehr Songstrukturen, Komposition auf den Punkt, mehr Gesang, mehr Hooklines. Die lauteste Popplatte der Welt wollte Haas kreieren. ‚Pop’ ist bei T.Raumschmiere selbstverständlich ein relativer Begriff, der in einen ironischen Kontext verpflanzt wird. Denn natürlich wird weiter rücksichtslos gerockt. Anderes wäre bei einem Liebhaber von Coil, Whitehouse und Merzbow auch nur schwer vorstellbar. Arschtreten is not over.


Ich habe ‚Blitzkrieg Pop’ gerade einer Freundin vorgespielt. Sie sagte spontan, sie fände es viel krachiger als das vorige Album. Für dich ist es dagegen poppiger. Wie passt das?

MH: Deine Freundin hat natürlich auch Recht. Es ist krachiger Pop. Für mich ist es poppiger, weil du etliche Stücke gleich mitsummen kannst. Es sind viel mehr Melodien drin und Sachen, die im Ohr hängen bleiben. Das liegt natürlich auch an den Gast-Sängerinnen.

Hat Gesang in den letzten Jahren insgesamt etwas gefehlt?

MH: Ich denke, man kann sich auch Instrumentalmusik gut merken. ‘Monstertruck Driver’ singen die Leute weltweit mit, obwohl es gar keinen Gesang gibt. Trotzdem ist Gesang ein Element, mit dem man leichter an den Hörer herankommt, und ich habe es bewusst auf dem neuen Album eingesetzt. Es ist einfach ganz anders als die klassische Schiene eines sechsminütigen Technotracks. Kurz gehaltene Songs, natürlich auch, um mal ganz andere Leute zu erreichen als die übliche Techno-Crowd. Ich wollte ein paar eingefahrene Gewohnheiten durchbrechen, das was man mit Pop assoziiert.

‘Gerockt’ wird ja schon lange auch in der Techno-Terminologie. Kommt nun der Rock’n’Roll durch die Hintertür auch physisch in die Clubs, obwohl man als Gegenkonzept gestartet ist?

MH: Diese ganze DJ-Geschichte kam ja daher, dass die Rock-Klischees raus sollten, die Gesichter: Kill your idols! Ein paar Jahre später ist den Leuten dann aufgefallen, dass sie gar nichts haben, was sie sich aufs T-Shirt drucken können – eben keine Idole. Jetzt ist es, glaube ich, so, dass die Leute wieder ein paar Gesichter hinter der Musik sehen wollen, damit sie auch mal gucken können. Und nicht nur im Club einen DJ sehen, der sich einen Kopfhörer an die Schulter klemmt. Sie wollen einfach ein bisschen mehr geboten kriegen. Die Elektroniker sind wieder offener gegenüber anderen Sachen. Rocker haben sich viel früher gegenüber Elektronik geöffnet als umgekehrt. Techno-Leute haben länger gebraucht, um sich mal ein bisschen lockerer zu machen, aus ihrer kleinen Pillen-Welt herauszutreten und Musik als Ganzes zu sehen.

Letztes Mal hatten wir den ‘Monstertruck Driver’. Inzwischen schickst du eine Art Schall-Panzer ins Feld und Ellen Allien sieht sich singender Weise als ‚Bus Driver’. Hast du überhaupt einen Führerschein?

MH: Ja, aber nur fürs Auto. Ellen hat den Text selbst geschrieben. Das ist eine ganz witzige Geschichte. Wir haben mal zusammen in Paris gespielt, da hat sie mir von einem Traum erzählt. Ihr Hund hat sie verfolgt, dabei besitzt sie gar keinen. Jedenfalls ist sie aus dem Fenster gesprungen, und da war unten ein Swimmingpool voll mit Whiskey. Und aus dieser Story ist das Stück entstanden.

Was ist deine Intention, wenn du ins Studio gehst?

MH: Ich mache Musik, um mich selbst zu verwirklichen. Um Dampf abzulassen, meine Aggressionen abzubauen, um laut zu sein.

Du hast mit Punk angefangen. Das macht man, glaube ich, wenn man nur drei Akkorde spielen kann. Wenn man nun nicht mal das kann, muss man es dann elektronisch machen?

MH: (lacht) Das ist gut. Warum Punk? In den späten 80ern war man entweder Popper oder Metaller – und ich war zuerst Metaller. Als 13-,14-Jähriger muss man sich halt irgendwie positionieren und Pop kam für mich da nicht in Frage. Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass mich Musik erfüllt und dass es mich glücklich macht, wenn ich Musik machen kann.

Was hättest du gemacht, wenn es nicht geklappt hätte? Maler und Lackierer in Heidelberg?

MH: Ich kann das ehrlich nicht beantworten. Ich habe ja nichts gelernt. Ich wusste schon während der Schulzeit, dass Musiker zu sein das ist, was ich machen will. Ich wollte keinen Chef haben. Es war natürlich ein gewisses Risiko, das hätte nach hinten losgehen können. Ist es aber nicht, und daher mache ich mir eigentlich keine großen Gedanken darum.

Wenn man aber nun mal Punker ist und bereits gegen alles rebelliert hat, wird man dann quasi ‘arbeitslos’?

MH: Es gibt immer jemanden, gegen den man rebellieren kann. Seit ich ein Kind habe hat sich das eher noch verstärkt, dass ich gegen gewisse Sachen bin. Andere ziehen auf den Bauernhof und machen einen auf Bio. Ich weiß jetzt, dass ich eine gewisse Verantwortung habe, dass man dieser Generation eine Welt hinterlässt. Das hat mir noch mehr Kraft und Wut gegeben, um ein Album wie ‘Blitzkrieg Pop’ zu machen.

Dein Motto ist ‘Stay anti’. Anti was?

MH: Grundsätzlich immer gegen alles, allerdings meine ich damit nicht, dass man grundlos zur Deutschen Bank laufen soll, um die Scheiben einzuwerfen. Für mich ist es eher eine philosophische Botschaft. Die Leute sollen wach bleiben, Sachen hinterfragen und nicht blind durch die Welt laufen und alles so hinnehmen, wie es gegeben wird.

Aber ein Rebell, der Erfolg hat und von allen gemocht wird, geht das überhaupt?

MH: Ich könnte natürlich weiter mein Underground-Ding machen, mit dem einen keiner wahrnimmt. Aber dadurch, dass ich eine Platte mit einem großen Label wie Mute herausbringe, habe ich eine gewisse Plattform. Ich habe damit eine Möglichkeit, mich mitzuteilen, wie ich sie sonst nicht hätte. Und damit habe ich die Möglichkeit, anderen Leuten, die überhaupt keine Aussage treffen, Platz in den Medien wegzunehmen. Und das will ich ausnutzen.

Dann sehen wir dich wahrscheinlich auch nicht auf dem nächsten Live-8 Festival.

MH: Um Gottes Willen. Wenn ich mir vorstelle, mit Silbermond oder den Toten Hosen dort zu stehen, da hab ich keinen Bock drauf. Da mache ich lieber eine Benefiz-Veranstaltung für den Kindergarten, in den mein Sohn geht. Aber ernsthaft: Ich weiß nicht so genau, was ich davon halten soll. Einerseits ist es okay, dass man überhaupt was macht. Andererseits hat das auch was ziemlich Miefiges. Wenn Elton John seine Brillensammlung versteigern würde, könnte man ein Land in Afrika komplett sanieren. Wenn also die Leute, die da spielen, nur ein bisschen was abgeben würden, hättest du schon mehr als genug Geld. Das ist ziemlich heuchlerisch.

Da sind wir thematisch schon fast bei den Neuwahlen angelangt.

MH: Find ich ein schlimmes Thema, weil es bedeutet, dass sich in den nächsten Monaten wieder nichts bewegt. Alle Politiker beschäftigen sich nur mit dem Wahlkampf, niemand packt etwas an. Das ist genau das Falsche, ein Rückschlag für Deutschland.

Hast du einen Vorschlag?

MH: Vielleicht sollte ich mal Bundeskanzler werden. Traurig ist einfach, wenn Leute mit vielen Ambitionen in die Politik gehen und sich letztlich so von Lobbyisten verbiegen lassen, dass sie überhaupt nicht mehr das machen können, wofür sie eigentlich angetreten sind. Beste Beispiele sind da Joschka Fischer oder Otto Schily. Was sind das heute für Leute? Nur noch austauschbare Marionetten.

Bemerkenswert finde ich dabei, dass die Leute unzufrieden mit der unsozialen Politik sind und als Konsequenz daraus CDU wählen möchten.

MH: Das ist wirklich grotesk - und typisch. Einerseits wollen sie, dass sich nichts verändert. Wollen nichts abgeben von ihrem sozialen Standard, der definitiv zu hoch ist. So eine soziale Sicherung gibt es in keinem anderen Land. Einerseits wollen sie das nicht lockern, aber trotzdem wählen sie CDU, weil sie denken, die machen das besser. Man müsste einfach mal auf ‘Restart’ drücken, noch mal von vorne anfangen und alles neu machen.

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