Mittwoch, 20. Juni 2007

Skinny Puppy: Ain't it dead yet?

Skinny_Puppy01Skinny Puppy sind schon oft totgesagt worden. Nach dem 92er-Album “Last Rights” etwa, das sich als kaum kaubarer Brocken Experimentalmusik erwies. Nach dem zwischenzeitlich letzten Kapitel „The Process“ (1995), das in den Wirren der Bandauflösung entstand. Und auch nach der Wiedergeburt mit „The Greater Wrong Of The Right“ (2004), das mit abermals verändertem Sound viele Fans verstörte. Eine gewisse Tendenz zur Selbstzerstörung wohnt Skinny Puppy inne, wie der jahrelange Kampf des Sängers Nivek Ogre gegen die Sucht und der tragische Drogentod des langjährigen Bandmitglieds Dwayne Rudolph Goettel dokumentieren. Trotzdem bleibt das Duo aus Ogre und cEvin Key eine der renommiertesten Elektronik-Bands überhaupt. Ein Phänomen wie Nine Inch Nails etwa wäre ohne die Pionierarbeit aus Kanada kaum denkbar gewesen. So zieht auch ihr brandneues Album „Mythmaker“ große Aufmerksamkeit auf sich – Diskussionen über den musikalischen Stil eingeschlossen.

Skinny Puppy servieren keine leichte Kost - auf ihre Musik muss man sich einlassen. Key und Ogre gelten als Meister des Makabren. cEvin Key führt den Hörer in ein verschachteltes Rhythmus-Labyrinth, in dem Nivek Ogre mit chiffrierten Lyrics Türen zu den Abgründen der menschlichen Seele öffnet. Dabei treffen seine persönlichen Dämonen auf den alltäglichen Wahnsinn und die Gewalt, der Menschen durch Krieg und gesellschaftliche Zwänge ausgesetzt werden. All das verschmilzt bei Skinny Puppy zu einer bizarren Groteske, die in einem Maschinensound hörbar macht, was Horrorfilme wie „Braindead“ oder „Tanz der Teufel“ in Bilder umsetzten.

Auf einem Konzert von Skinny Puppy sollte man daher auch möglichst keine helle Kleidung tragen. Wenn Nivek Ogre vor Videoaufnahmen des Irakkriegs in einem Kostüm als Vogelmensch auftritt und mit einer Blutpistole hantiert, ist das ein Erlebnis, das man sowohl aus dem Gedächtnis, wie auch aus Textilien nur schwer herauswaschen kann.

Die Band hat sich in ihrer musikalischen Entwicklung noch nie beirren lassen. Auch „Mythmaker“ führt diesen Weg weiter und betritt mit sehr viel stringenterem Gesamtbild ein neues Terrain. Was das neue Album mit den Klassikern verbindet, ist die Tatsache, dass sich die Vielfalt der verborgenen Facetten - was für Skinny Puppy typisch ist - erst nach und nach erschließt. Mastermind cEvin Key steckt nach vollendeter Arbeit bereits voll neuem Tatendrang.

Es ist ein wenig überraschend, dass so kurz nach Eurem Comeback bereits ein neues Album erscheint.

CK: Das Gerüst der Stücke stand recht schnell, aber wir haben rund ein Jahr mit der Detailarbeit zugebracht. Eigentlich wollten wir schon im März 2006 soweit sein, aber so können wir uns in diesem Jahr ganz auf Promotion und Liveauftritte konzentrieren.

Seid Ihr wieder eine echte Band – oder eher wie zwei Individualisten?

CK: Skinny Puppy war immer eine Art “fragmentierte” Band. Das liegt an der Art, wie wir arbeiten. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus und Prioritäten. Und aus dem Spannungsfeld zwischen dem, was Ogre und ich machen, ergibt sich dann diese besondere Chemie. Mark Walk fungiert als Katalysator, bringt Ideen ein, wie wir ein Stück entwickeln können. Beim Mixing hat uns wieder Ken Marshall geholfen.

Neue Technik hat Euch schon immer interessiert. Ihr habt mit analoger Ausrüstung angefangen, danach mit als erste MIDI genutzt – wie hat sich Eure Arbeitsweise mit den neusten Entwicklungen verändert?

CK: Jeder arbeitet in seinem eigenen Bereich mit eigenen Geräten und nimmt Teile alleine auf, die später zusammengefügt werden. Früher versammelten sich alle zur gleichen Zeit um eine Bandmaschine. Unglaublich, aus heutiger Sicht. Heute tauschen wir kleine Teile aus und bekommen so sehr schnell drei, vier verschiedene Versionen einer Idee. Man ist nicht davon abhängig, dass alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort und in entsprechender Stimmung sind. Es ist eine andere Art, Musik zu machen. Das hätte man sich früher gar nicht vorstellen können.

Programmiert ihr immer noch Eure Sounds selbst?

CK: Wir sind jedenfalls keine Preset-Freunde. Über die Jahre haben wir eine ganz gute Sammlung von Geräten zusammengetragen, angefangen von ARP 2500 und 2600 über die Korg-Serie, die Roland-Maschinen, Groove-Boxen – und natürlich nutzen wir auch virtuelle Synthesizer. Sie sind wirklich viel besser geworden. Ich habe viele Vergleiche zwischen Software und echten Geräten angestellt. Zum Beispiel kann man den virtuellen Korg MS 20 kaum noch vom echten unterscheiden.

Otto von Schirach hilft Euch auch manchmal.

CK: Ja, ab und zu schickt er uns einige Loops und Samples.

Er hat kürzlich eine eigene Software-Workstation mit einem Kontakt 2 von Native Instruments veröffentlicht.

CK: Ja, ich habe “Otto” und es ist wirklich gut, wenn man Musik schreiben möchte, die “hard edged” ist.

Was ist die Bedeutung von “Mythmaker”?

CK: Wie immer bei uns gibt es verschiedene Ebenen und Blickwinkel, aus denen man es sehen kann. Es ist Ogres Konzept und für ihn hat es eine persönliche Bedeutung. Für mich geht es darum, wie Gedanken und Vorstellungen sich zu Teilen der Realität manifestieren können.

Ein Hauptthema des Albums ist Kontrolle.

CK: Ogre hat in den letzten Jahren ein Reihe von Erfahrungen mit Beziehungen unterschiedlicher Art gemacht. Wenn man mit anderen Menschen näher zu tun hat, gibt es immer auch einen Aspekt von Steuerung oder Macht. Einiges davon hat er verarbeitet – wie gesagt, es sind sehr viele persönliche Dinge. Ich erforsche das daher nicht im Detail, weil ich mich nicht in seine Angelegenheiten mischen will. Ich selbst drücke mich über die Musik aus.

Denkst Du, man hat als Musiker ein so ereignisreiches Leben, dass sich häufiger solche Situationen ergeben – oder ist es einfach so, dass man als Musiker genauer hinsieht und Dinge thematisiert, über die sonst weniger nachgedacht wird?

CK: Gute Frage. Wir lassen uns vom dem inspirieren, was um uns herum passiert – und was wir daraus lernen. Musik ist immer eine Mischung aus äußeren Einflüssen und persönlichen Elementen. Ich denke, es beinhaltet auch immer etwas Eskapismus. Man ist als Musiker oft auf der Suche, aber man hat deswegen nicht immer eine Antwort parat.

Wonach suchst Du?

CK: Inspiration, Spiritualität, Ausgeglichenheit. Mich mit Musik zu beschäftigen, gibt mir ein Gefühl von Selbstkontrolle.

Müssen sich für mehr Ausgeglichenheit die Bedingungen in der Gesellschaft ändern - oder eher man sich selbst?

CK: Es ist definitiv eine persönliche Haltung – ein Weg, den man für sich selbst finden muss.

Liebst Du das Leben?

CK: Auf jeden Fall. Unsere Musik vermittelt vielleicht nicht immer diesen Eindruck, aber es ist so.

Was ist mit Ogre?
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CK: Ich kann nicht für ihn sprechen – aber ich fühle, worum es ihm geht. Ich nehme die Spannung wahr, den Aufruhr in ihm bei bestimmten Dingen. Ich könnte die Musik alleine nie zu einer solchen Intensität führen, ich bin einfach eine andere Persönlichkeit. Es ist die Intensität, mit der Ogre fühlt und sich ausdrückt. Es sind manchmal ungeordnete Gedanken, aber er zieht den positiven Nutzen daraus und gießt es in Worte, bringt Dinge auf besondere Weise zum Ausdruck. Manchmal finde selbst ich diese Abgründe furchterregend. Aber genau das machte Skinny Puppy vom ersten Tag an so interessant. Wir fragen uns natürlich auch manchmal, wie es auf andere wirken mag. Man kann nur spekulieren – für manche wirkt es vielleicht wie ein Alptraum, für andere könnte es auch eine große Befreiung sein. Für uns jedenfalls ist es eine Art von Therapie.

Die Geschichte von Skinny Puppy beginnt 1982 – ist die Welt seitdem ein besserer Ort geworden?

CK: Schwer zu sagen. Was ich sehe ist, dass der wirtschaftliche Druck zugenommen hat. Alles wird ökonomisiert und Not tritt in unserer Gesellschaft deutlicher zu Tage. Ich selbst habe Glück gehabt. Meine Musik hat mich in die Lage versetzt, das zu tun, was mir am Herzen liegt und dafür bin ich sehr dankbar. Zuvor spielte ich in einer Band mit einem Major-Vertrag, die sehr kommerziell ausgerichtet war (Images In Vogue – u.a. mit Don Gordon, der später Numb gründete – Anm. d. Red.). Wir tourten als Support von Duran Duran, Depeche Mode und Roxy Music. Aber irgendwann wurde mir klar, dass ich einfach die Musik machen muss, die mir wirklich am Herzen liegt, auch wenn ich nur 500 Platten verkaufe. Es ist schon etwas merkwürdig, nach über 20 Jahren darauf zurückzublicken. Der einzige Wermutstropfen ist, dass alles ein solches Drama war. Skinny Puppy ist eine unglaublich intensive Erfahrung und hat bis heute keinen „Frieden“ gefunden. Damals dachte ich, wir würden irgendwann mit dem Kopf in den Wolken dasitzen und vielleicht eine Art Sphärenmusik machen, wenn wir älter sind. Aber das Feuer, die Wut scheinen immer weiter zu brennen und wir sind noch immer mittendrin. Manchmal würde ich das gerne ändern, aber man muss es akzeptieren.

Was ist der Grund für dieses immerwährende Feuer?

CK: Das ist die Frage, die wir uns selbst stellen. Wir sind immer noch auf der Suche nach uns selbst und nach Balance. Aber wenn wir sie finden, wird uns das Feuer um uns herum nur noch bewusster. Da fragt man sich dann weiter, was besser ist – es zu sehen, oder eher abzustumpfen.

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